Lula will den Völkermord an den Yanomami stoppen — der Freitag – Welt25 (2023)

Das kleine Yanomami-Mädchen ist stark unterernährt, etwa acht Monate alt, aber nur 2,75 Kilogramm schwer. Weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Gewichts für dieses Alter. Im winzigen rechten Fuß des Kindes steckt ein Katheter für eine Bluttransfusion, von der die Ärzte hoffen, dass sie eine lebensrettende Wirkung hat. „Wir sind gerade in einer wirklich schwierigen Lage“, erklärt sich Francinete Rodrigues, Direktorin des Kinderhospitals in Boa Vista, einer Stadt im Nordosten Brasiliens. Die Klinik, wie andere Häuser auch, ist mit einer indigenen Gesundheitskatastrophe konfrontiert, die Präsident Lula da Silva jüngst als „versuchten Völkermord“ bezeichnet hat. Dabei ist dieses Amazonas-Krankenhaus krisenerprobt. Seit fast zehn Jahren fängt das medizinische Personal Folgen des humanitären Zusammenbruchs im Nachbarland Venezuela auf. Tausende Migranten und Flüchtlinge treibt es mit der Bitte nach einer Behandlung hierher, die in ihrem gezeichneten Heimatland kaum mehr zu haben ist.

In jüngster Zeit ist die Notaufnahme des Santo-Antônio-Krankenhauses von einer zweiten Katastrophe betroffen: Immer mehr schwer kranke Yanomami-Kinder werden aufgrund der extrem schlechten Lebensbedingungen in dieser großen indigenen Region eingeliefert, die in etwa die Größe Portugals hat. Im vergangenen Jahr starben im Hospital 47 Kinder aus indigenen Familien – die meisten vor ihrem ersten Geburtstag. 2021 waren es 56, im Jahr zuvor 31. Wie indigene Aktivisten berichten, sind seit 2018 mindestens 570 Yanomami-Kinder gestorben. Was man hätte verhindern können. Hintergrund ist eine toxische Mischung aus Vernachlässigung durch die regionalen Behörden, einer grassierenden Korruption sowie einem Ansturm von illegalen Bergbau-Banden.

„Wenn Kinder aus indigenen Gemeinschaften ins Krankenhaus gebracht werden, gibt es dafür fast immer mehr als einen Grund: Sie sind mangelhaft ernährt und haben sich zugleich eine Lungenentzündung zugezogen oder sind an Malaria erkrankt. Und manchmal kommen sie mit zwei, drei oder vier Gesundheitsproblemen“, erzählt Francinete Rodrigues bei einem Rundgang durch den Trakt des Krankenhauses für Patienten mit indigenem Hintergrund. Hier können Yanomami-Familien mit ihren kranken Kindern in Hängematten liegen, wie das die Regenwaldbewohner gewohnt sind.

Präsident Lula da Silva erklärte im Januar den Gesundheitsnotstand für die Region

An diesem Tag werden im Spital 56 Yanomami-Kinder behandelt, zwei davon auf der Intensivstation. Zwei Tage zuvor ist ein sieben Monate altes Yanomami-Baby an einer Lungenentzündung gestorben. Die Ärzte hoffen, dass dem so furchtbar abgemagerten kleinen Mädchen aus der Yanomami-Untergruppe der Sanumà, das die Bluttransfusion erhielt, dieses Schicksal erspart bleibt.

Es gab insofern Anlass genug, dass Präsident Lula da Silva schon im Januar für die Amazonasregion den Gesundheitsnotstand erklärte. Er kündigte außerdem an, gegen die illegalen Goldgräber vorgehen zu wollen. Die steigende Zahl dieser häufig in bewaffneten Banden organisierten Klientel habe immense Auswirkungen auf die Lebensumstände der Ureinwohner. Der jetzt eingetretene Notstand ist die dritte Tragödie dieser Art, die das Volk der Yanomami in den vergangenen 50 Jahren getroffen hat. Anfang der 1970er kamen erstmals Fremde in großer Zahl in ihr bergiges Territorium, nachdem die damalige Militärregierung eine befestigte Straße durch die Region treiben ließ. Die Trasse bedeutete Umweltzerstörung und brachte Epidemien mit sich, die ganze Dörfer auslöschten.

Raubbau in Brasilien

Seit Jahrzehnten werden in der Amazonasregion Bodenschätze wie Gold, Edelsteine und Diamanten gefunden und ausgebeutet. Mittlerweile kommen Eisen, Zink, Zinn, Bauxit, Mangan und Blei hinzu, deren Lagerstätten zum Teil noch gar nicht erschlossen sind. Doch dürfte das nur eine Frage der Zeit sein, solange die Nachfrage in Nordamerika, Australien und Europa steigt, verbunden mit einer entsprechenden Preisentwicklung.

Die rapide fortschreitende Entwaldung Amazoniens geht gegenwärtig zu neun Prozent auf illegale Bergbauaktivitäten zurück, mit denen das Recht des Staates auf die Förderung von Rohstoffen oder die Vergabe von Konzessionen unterlaufen wird. Gleiches gilt für die Kontrolle der Fördermethoden, wenn giftige Substanzen wie Blei, Cyanid und Quecksilber verwendet werden. Allein dadurch kann die Lebensgrundlage der indigenen Völker auf irreversible Weise beschädigt werden. Lutz Herden

Gut eine Dekade später, als der Goldpreis merklich stieg, kamen Zehntausende von Goldgräbern – von den Yanomami „urihi wapo pë“ (Erdesser) genannt – und richteten weiteren Schaden an. „Plötzlich tauchten diese finsteren Gestalten im Wald auf. Sie suchten fieberhaft nach einem bösen Ding, von dem wir noch nie etwas gehört hatten, und dessen Namen sie unaufhörlich wiederholten: Gold“, schrieb der Schamane und Aktivist Davi Kopenawa in seiner Autobiografie The Falling Sky.

Laut der Survival-International-Aktivistin Fiona Watson, die über 30 Jahre mit den Yanomami zusammengearbeitet hat, wurde allein zwischen 1987 und 1993 rund ein Fünftel der indigenen Gruppe durch Gewalt und Krankheiten getötet. Es kam zu einem globalen Aufschrei, der die Regierung zum Handeln trieb. Sicherheitskräfte zwangen Zehntausende Goldsucher, das Gebiet wieder zu verlassen. 1992 dann wurde das Yanomami-Schutzgebiet geschaffen. „Wir hätten nie gedacht, dass sich das, was in den 1980ern geschah, wiederholen würde. Wir glaubten, wir seien frei“, erklärt Dário Kopenawa, Vizepräsident der Yanomami-Vereinigung Hutukara und Davi Kopenawas Sohn. „Aber wir waren nicht frei, stellte sich heraus.“

Der damalige Präsident Jair Bolsonaro tat nichts

Von 2016 an löste der erneute Anstieg der Goldpreise und der Erlöse für das Zinnerz Kassiterit eine weitere tödliche Invasion aus. Nochmals beschleunigte sich der Zuzug illegaler Bergarbeiter, als der rechtspopulistische Präsident Jair Bolsonaro 2019 an die Macht kam. Er torpedierte Organisationen, die sich für die indigenen Völker und den Umweltschutz einsetzten und verhinderten, dass sich die kriminellen Gangs ungehindert austoben konnten. Wie Experten heute resümieren, verschärfte die Anwesenheit von mehr als 20.000 Goldgräbern die bereits ausgebrochene Gesundheitskrise in entlegenen Enklaven, in denen die Jäger, Sammler und Gemüseanbauer der Yanomami seit Tausenden von Jahren leben.

Schwerbewaffnete Bergleute besetzten die von den Gesundheitsteams genutzten unbefestigten Straßen und schreckten die wenigen medizinischen Fachkräfte ab, die sich um die Gesundheit der Yanomami kümmerten. Sie verschreckten auch das Wild in den Wäldern, vergifteten Fische mit Quecksilber und waren Auslöser dafür, dass sich explosionsartig die Malaria verbreitete. Das hatte verheerende Folgen für die mangelhaft ernährten Yanomami-Kinder. Ein lokaler Korruptionsfall verschlimmerte das Problem weiter. Tausende von Yanomami-Kindern hatten dadurch keinen Zugang mehr zu lebenswichtigen Medikamenten wie dem Wurmmittel Albendazol.

„Bolsonaro hat Blut an den Händen“, urteilt Fiona Watson über die Weigerung des Ex-Präsidenten, etwas dagegen zu tun. „Es so weit kommen zu lassen, dass Yanomami-Kinder sogar verhungerten in einem der Regenwälder mit der größten Biodiversität weltweit, mit der sie unter normalen Umständen völlig autark und sehr gut leben könnten – das war entsetzlich, pervers und komplett kriminell.“ Immerhin ist nun Bundesstaatsanwalt Alisson Marugal an der Untersuchung der Ursachen und der Verantwortung für einen mutmaßlichen Völkermord beteiligt. Der Jurist erinnerte sich an „schreckliche Szenen fast kriegsähnlicher Zerstörung“, als er 2021 und 2022 Yanomami-Dörfer besuchte, die von illegalen Schürfern überrannt wurden. Im April 2022 prangerte Marugals Team öffentlich die „humanitäre Tragödie“ an, deren Zeuge es wurde.

Auch Dário Kenawa versuchte, Alarm zu schlagen. Er habe sich bemüht, „die verzweifelte Stimme der Yanomami Bolsonaros Vizepräsidenten, dem pensionierten General Hamilton Mourão, zu Gehör zu bringen“. Aber dieses Hilfeersuchen traf ebenso wie die entsprechenden Schilderungen in den heimischen und internationalen Medien auf taube Ohren, bis Jair Bolsonaro, der stets jede Zuständigkeit von sich gewiesen hatte, im vergangenen Oktober die Präsidentenwahl verlor. „Die ehemalige Regierung wusste, was vor sich ging, aber sie tat nichts, um es zu stoppen. Im Gegenteil, man ließ die illegalen Schürfer gewähren und kriminelle Taten verüben“, sagt die Aktivistin Fiona Watson und will in ihren Vorwurf ausdrücklich auch das Militär einbezogen wissen. „Es fällt mir weiterhin sehr schwer zu glauben, dass sie alle wissentlich zuließen, was passierte, während sie die Bilder von sterbenden Kindern sahen. Es ist unfassbar.“

Die Lage veränderte sich nach Lula da Silvas Amtseinführung am 1. Januar. Der linke Politiker flog nach Boa Vista, um eine, wie er erklärte, „indigene Tragödie“ anzuprangern. „Was ich sah, war keine humanitäre Krise, sondern Völkermord“, sagte Lula und ordnete durchgreifende Maßnahmen an, um die illegalen Schatzsucher aus dem Gebiet zu vertreiben. Anfang Februar wurde damit begonnen, dies durchzusetzen. Vieles liegt in der Hand der Umweltagentur Ibama, deren Vertreter ein entschlossenes Vorgehen angekündigt haben. Givanildo dos Santos Lima, der Koordinator von Ibamas Yanomami-Einsatz, teilte mit, dass die neue Umweltministerin Marina Silva seinem Team freie Hand gegeben habe.

Lima versprach, man werde vor Ort bleiben, „so lange es eben dauert“. Gleichzeitig warnte er davor, die Aufgabe zu unterschätzen: Der Kampf gegen derart verwegene und finanziell gut aufgestellte kriminelle Gruppen sei gefährlich und werde mindestens ein Jahr dauern. „Sie sind furchtlos und zu allem bereit. Das Ganze hat etwas von einer Kamikaze-Aktion. Wir haben es hier nicht nur mit Umweltkriminellen zu tun. Diese Leute sind bereit, für ihre wirklich hohen Profite alles zu riskieren.“ Das ganze Ausmaß der bisherigen Umweltzerstörung bleibe unklar. Schwer seien auch die Folgen für die Menschen einzuschätzen: „Das Schlimmste wissen wir womöglich noch gar nicht. In manche Gebiete ist bisher niemand vorgedrungen. Daher gibt es bei den Zahlen, über die wir verfügen, einen großen Unsicherheitsfaktor. Komplett sind sie auf keinen Fall.“

Während das Ibama-Einsatzteam versucht, das Land der Yanomami zurückzuerobern, und sich die Mitglieder des Gesundheitsteams bemühen, das Leben der Yanomami zu retten, kämpft das abgemagerte kleine Mädchen im Krankenhaus ums Überleben. Eine Woche nach seiner Einlieferung befand es sich weiter auf der Intensivstation und nahm noch immer nicht richtig zu. Eine Genesung, geschweige denn ein Entlassungstermin waren nicht abzusehen. Dário Kopenawa gibt Bolsonaro eine Mitschuld. „Er drehte sich um und überließ die Yanomami ihrem Tod. Er ließ zu, dass die Flüsse und die Tiere sterben. Und er ließ zu, dass die Kinder sterben.“

Tom Phillips ist Lateinamerika-Korrespondent des Guardian

krisenerprobt. Seit fast zehn Jahren fängt das medizinische Personal Folgen des humanitären Zusammenbruchs im Nachbarland Venezuela auf. Tausende Migranten und Flüchtlinge treibt es mit der Bitte nach einer Behandlung hierher, die in ihrem gezeichneten Heimatland kaum mehr zu haben ist. In jüngster Zeit ist die Notaufnahme des Santo-Antônio-Krankenhauses von einer zweiten Katastrophe betroffen: Immer mehr schwer kranke Yanomami-Kinder werden aufgrund der extrem schlechten Lebensbedingungen in dieser großen indigenen Region eingeliefert, die in etwa die Größe Portugals hat. Im vergangenen Jahr starben im Hospital 47 Kinder aus indigenen Familien – die meisten vor ihrem ersten Geburtstag. 2021 waren es 56, im Jahr zuvor 31. Wie indigene Aktivisten berichten, sind seit 2018 mindestens 570 Yanomami-Kinder gestorben. Was man hätte verhindern können. Hintergrund ist eine toxische Mischung aus Vernachlässigung durch die regionalen Behörden, einer grassierenden Korruption sowie einem Ansturm von illegalen Bergbau-Banden.„Wenn Kinder aus indigenen Gemeinschaften ins Krankenhaus gebracht werden, gibt es dafür fast immer mehr als einen Grund: Sie sind mangelhaft ernährt und haben sich zugleich eine Lungenentzündung zugezogen oder sind an Malaria erkrankt. Und manchmal kommen sie mit zwei, drei oder vier Gesundheitsproblemen“, erzählt Francinete Rodrigues bei einem Rundgang durch den Trakt des Krankenhauses für Patienten mit indigenem Hintergrund. Hier können Yanomami-Familien mit ihren kranken Kindern in Hängematten liegen, wie das die Regenwaldbewohner gewohnt sind.Präsident Lula da Silva erklärte im Januar den Gesundheitsnotstand für die RegionAn diesem Tag werden im Spital 56 Yanomami-Kinder behandelt, zwei davon auf der Intensivstation. Zwei Tage zuvor ist ein sieben Monate altes Yanomami-Baby an einer Lungenentzündung gestorben. Die Ärzte hoffen, dass dem so furchtbar abgemagerten kleinen Mädchen aus der Yanomami-Untergruppe der Sanumà, das die Bluttransfusion erhielt, dieses Schicksal erspart bleibt.Es gab insofern Anlass genug, dass Präsident Lula da Silva schon im Januar für die Amazonasregion den Gesundheitsnotstand erklärte. Er kündigte außerdem an, gegen die illegalen Goldgräber vorgehen zu wollen. Die steigende Zahl dieser häufig in bewaffneten Banden organisierten Klientel habe immense Auswirkungen auf die Lebensumstände der Ureinwohner. Der jetzt eingetretene Notstand ist die dritte Tragödie dieser Art, die das Volk der Yanomami in den vergangenen 50 Jahren getroffen hat. Anfang der 1970er kamen erstmals Fremde in großer Zahl in ihr bergiges Territorium, nachdem die damalige Militärregierung eine befestigte Straße durch die Region treiben ließ. Die Trasse bedeutete Umweltzerstörung und brachte Epidemien mit sich, die ganze Dörfer auslöschten.Placeholder infobox-1Gut eine Dekade später, als der Goldpreis merklich stieg, kamen Zehntausende von Goldgräbern – von den Yanomami „urihi wapo pë“ (Erdesser) genannt – und richteten weiteren Schaden an. „Plötzlich tauchten diese finsteren Gestalten im Wald auf. Sie suchten fieberhaft nach einem bösen Ding, von dem wir noch nie etwas gehört hatten, und dessen Namen sie unaufhörlich wiederholten: Gold“, schrieb der Schamane und Aktivist Davi Kopenawa in seiner Autobiografie The Falling Sky.Laut der Survival-International-Aktivistin Fiona Watson, die über 30 Jahre mit den Yanomami zusammengearbeitet hat, wurde allein zwischen 1987 und 1993 rund ein Fünftel der indigenen Gruppe durch Gewalt und Krankheiten getötet. Es kam zu einem globalen Aufschrei, der die Regierung zum Handeln trieb. Sicherheitskräfte zwangen Zehntausende Goldsucher, das Gebiet wieder zu verlassen. 1992 dann wurde das Yanomami-Schutzgebiet geschaffen. „Wir hätten nie gedacht, dass sich das, was in den 1980ern geschah, wiederholen würde. Wir glaubten, wir seien frei“, erklärt Dário Kopenawa, Vizepräsident der Yanomami-Vereinigung Hutukara und Davi Kopenawas Sohn. „Aber wir waren nicht frei, stellte sich heraus.“Der damalige Präsident Jair Bolsonaro tat nichtsVon 2016 an löste der erneute Anstieg der Goldpreise und der Erlöse für das Zinnerz Kassiterit eine weitere tödliche Invasion aus. Nochmals beschleunigte sich der Zuzug illegaler Bergarbeiter, als der rechtspopulistische Präsident Jair Bolsonaro 2019 an die Macht kam. Er torpedierte Organisationen, die sich für die indigenen Völker und den Umweltschutz einsetzten und verhinderten, dass sich die kriminellen Gangs ungehindert austoben konnten. Wie Experten heute resümieren, verschärfte die Anwesenheit von mehr als 20.000 Goldgräbern die bereits ausgebrochene Gesundheitskrise in entlegenen Enklaven, in denen die Jäger, Sammler und Gemüseanbauer der Yanomami seit Tausenden von Jahren leben.Schwerbewaffnete Bergleute besetzten die von den Gesundheitsteams genutzten unbefestigten Straßen und schreckten die wenigen medizinischen Fachkräfte ab, die sich um die Gesundheit der Yanomami kümmerten. Sie verschreckten auch das Wild in den Wäldern, vergifteten Fische mit Quecksilber und waren Auslöser dafür, dass sich explosionsartig die Malaria verbreitete. Das hatte verheerende Folgen für die mangelhaft ernährten Yanomami-Kinder. Ein lokaler Korruptionsfall verschlimmerte das Problem weiter. Tausende von Yanomami-Kindern hatten dadurch keinen Zugang mehr zu lebenswichtigen Medikamenten wie dem Wurmmittel Albendazol.„Bolsonaro hat Blut an den Händen“, urteilt Fiona Watson über die Weigerung des Ex-Präsidenten, etwas dagegen zu tun. „Es so weit kommen zu lassen, dass Yanomami-Kinder sogar verhungerten in einem der Regenwälder mit der größten Biodiversität weltweit, mit der sie unter normalen Umständen völlig autark und sehr gut leben könnten – das war entsetzlich, pervers und komplett kriminell.“ Immerhin ist nun Bundesstaatsanwalt Alisson Marugal an der Untersuchung der Ursachen und der Verantwortung für einen mutmaßlichen Völkermord beteiligt. Der Jurist erinnerte sich an „schreckliche Szenen fast kriegsähnlicher Zerstörung“, als er 2021 und 2022 Yanomami-Dörfer besuchte, die von illegalen Schürfern überrannt wurden. Im April 2022 prangerte Marugals Team öffentlich die „humanitäre Tragödie“ an, deren Zeuge es wurde.Auch Dário Kenawa versuchte, Alarm zu schlagen. Er habe sich bemüht, „die verzweifelte Stimme der Yanomami Bolsonaros Vizepräsidenten, dem pensionierten General Hamilton Mourão, zu Gehör zu bringen“. Aber dieses Hilfeersuchen traf ebenso wie die entsprechenden Schilderungen in den heimischen und internationalen Medien auf taube Ohren, bis Jair Bolsonaro, der stets jede Zuständigkeit von sich gewiesen hatte, im vergangenen Oktober die Präsidentenwahl verlor. „Die ehemalige Regierung wusste, was vor sich ging, aber sie tat nichts, um es zu stoppen. Im Gegenteil, man ließ die illegalen Schürfer gewähren und kriminelle Taten verüben“, sagt die Aktivistin Fiona Watson und will in ihren Vorwurf ausdrücklich auch das Militär einbezogen wissen. „Es fällt mir weiterhin sehr schwer zu glauben, dass sie alle wissentlich zuließen, was passierte, während sie die Bilder von sterbenden Kindern sahen. Es ist unfassbar.“Die Lage veränderte sich nach Lula da Silvas Amtseinführung am 1. Januar. Der linke Politiker flog nach Boa Vista, um eine, wie er erklärte, „indigene Tragödie“ anzuprangern. „Was ich sah, war keine humanitäre Krise, sondern Völkermord“, sagte Lula und ordnete durchgreifende Maßnahmen an, um die illegalen Schatzsucher aus dem Gebiet zu vertreiben. Anfang Februar wurde damit begonnen, dies durchzusetzen. Vieles liegt in der Hand der Umweltagentur Ibama, deren Vertreter ein entschlossenes Vorgehen angekündigt haben. Givanildo dos Santos Lima, der Koordinator von Ibamas Yanomami-Einsatz, teilte mit, dass die neue Umweltministerin Marina Silva seinem Team freie Hand gegeben habe.Lima versprach, man werde vor Ort bleiben, „so lange es eben dauert“. Gleichzeitig warnte er davor, die Aufgabe zu unterschätzen: Der Kampf gegen derart verwegene und finanziell gut aufgestellte kriminelle Gruppen sei gefährlich und werde mindestens ein Jahr dauern. „Sie sind furchtlos und zu allem bereit. Das Ganze hat etwas von einer Kamikaze-Aktion. Wir haben es hier nicht nur mit Umweltkriminellen zu tun. Diese Leute sind bereit, für ihre wirklich hohen Profite alles zu riskieren.“ Das ganze Ausmaß der bisherigen Umweltzerstörung bleibe unklar. Schwer seien auch die Folgen für die Menschen einzuschätzen: „Das Schlimmste wissen wir womöglich noch gar nicht. In manche Gebiete ist bisher niemand vorgedrungen. Daher gibt es bei den Zahlen, über die wir verfügen, einen großen Unsicherheitsfaktor. Komplett sind sie auf keinen Fall.“Während das Ibama-Einsatzteam versucht, das Land der Yanomami zurückzuerobern, und sich die Mitglieder des Gesundheitsteams bemühen, das Leben der Yanomami zu retten, kämpft das abgemagerte kleine Mädchen im Krankenhaus ums Überleben. Eine Woche nach seiner Einlieferung befand es sich weiter auf der Intensivstation und nahm noch immer nicht richtig zu. Eine Genesung, geschweige denn ein Entlassungstermin waren nicht abzusehen. Dário Kopenawa gibt Bolsonaro eine Mitschuld. „Er drehte sich um und überließ die Yanomami ihrem Tod. Er ließ zu, dass die Flüsse und die Tiere sterben. Und er ließ zu, dass die Kinder sterben.“Placeholder authorbio-1

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Author: Rob Wisoky

Last Updated: 23/05/2023

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